Bunte Bilder leuchten von den Wänden im hellen Zimmer von Frau Bucher. Wild und abstrakt die grosse Landschaft über der Sitzecke, zart und präzise das Kinder-Portrait beim Bett. Zwischen den ernsthaften Holzrahmen hängen – mit Malerklebband befestigt, unzählige Seiten aus dem Mandala-Malbuch.
Gerade hängt Frau Bucher ein neues Kunstwerk an die Wand. Sie klebt es über ein anderes Bild, ein wenig schräg, und betrachtet ihr Werk mit zufriedenem Gesicht… «Wieder eines fertig?» frage ich, als ich neben ihr stehe. Frau Bucher lacht und schaut mich an. «Ja…». Symmetrische Formen, pastellzart oder neon-kräftig – die Vielfalt der Mandalas ist überwältigend. «Sie malen gern?» - «In der Schule hat mir die Lehrerin die Farben weggenommen, weil ich schreiben muss, nicht malen…» «Aber sie malen lieber, als Sie schreiben?» Ich versuche mir vorzustellen, wie die kleine Irma damals gewesen sein muss. Wie eine Schulmeisterin richtet sie sich nun auf, hebt den Finger und erklärt: «Wüssed Sie, mer cha öppis verchüderle und alles chund an Platz.» -- «So isch es, das isch de Vorteil, oder?» - «Jo, das isch er!» Frau Bucher strahlt.
«Wie gots Ihne hüt, Frau Bucher?» - Wieder schaut sie nachdenklich. «Jo….?!» «Möchten Sie jetzt dann mit den anderen Dessert essen in der Stube?» «Lieber nicht…» Frau Bucher dreht sich um und geht zu ihrem Tisch. Ein Stapel Mandala Bücher liegt auf der einen Seite, lose Vorlagen auf der anderen. Schon sind einige Farben gesetzt. Frau Bucher nimmt den Stift und malt.
«Ihnen ist grad wohl so in ihrem Zimmer?» «Ja…», sagt sie, und malt sorgfältig an einer winzige, grünen Form. Still betrachte ich ihr konzentriertes Arbeiten. Nach einer Weile hält sie inne und betrachtet ihr Werk. «Was spüren Sie, wenn Sie malen?» «So en glögglischöne Bluemebärg» - «Isch das es guets Gfühl?» Frau Bucher nickt, und schliesst die Augen.
Die Pflege sagte, es sei Frau Bucher unangenehm, bei den anderen auf der Pflegegruppe zu sein, es falle ihr oft schwer, sich selbst in der fortschreitenden Demenz zu ertragen. Und die anderen zu sehen, bringe sie immer wieder aus der Fassung…
Mit den Mandalas hat sie vor einigen Wochen angefangen. Früher war sie Kunstmalerin gewesen, aus Leidenschaft, eine Lebenskünstlerin mit originellem Lebensstil. Als ungebunden und frei, hätte sie sich selbst beschrieben… Was für ein Kontrast, denke ich mir, wie sie sich selber auf ihr Zimmer beschränkt, und ihre Kreativität in die vorgegebenen Formen des Malbuchs fliessen lässt… Wie gerne möchte ich mehr wissen von dem, was in ihr vorgeht, was sie trägt und ihr jetzt Frieden gibt.
Schliesslich wage ich zu fragen: «Hilft Ihnen das Mandala malen, wenn schwierige Gefühle kommen?» Frau Bucher blickt auf und schaut in die Weite: «Wüssed Sie, do chani eifach inetroole und ganz ich selber sii…» «Inetroole und ganz Sie selber sii…» Wiederhole ich wie ein Echo. Frau Bucher schaut mich an. Bewegt nimmt sie meine Hand und drückt einen Kuss darauf. Dann streckt Sie mir das Mandala entgegen: «Das, das ist für Sie!»
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